Die Revolution, die keine war
Von Karl-Heinz Janßen
… Neuerdings haben junge Historiker und Politologen die These aufgestellt, die einzig wirkliche Alternative zur bürgerlichen Demokratie sei nicht der „Bolschewismus“ gewesen, den SPD und Bürgerliche gern als Gespenst an die Wand malten, sondern „eine auf die Räte gestützte soziale Demokratie“. Als der Staat Pause machte – zwischen der Meuterei in Kiel und der Revolution in Berlin –, hatten allüberall nach russischem Vorbild Arbeiter- und Soldatenräte die Kontrolle der Macht übernommen; irgendwie mußte sich ja die Revolution organisieren. In den meisten Arbeiterräten kamen die Kontrolleure der Macht aus den bewährten Kadern der SPD und der Gewerkschaften. Vom Parteivorstand wurden sie von vornherein nur als Treuhänder der Macht angesehen. Ebert wurde ihrer bald überdrüssig: „Das Herum- und Hineinregieren der Arbeiter- und Soldatenräte muß aufhören! Sie sind Beratungsbehörden, sonst nichts!“ Auch die Gewerkschaften waren den Räten nicht wohlgesonnen, da sie hier mit Recht eine Konkurrenz zu fürchten hatten, die mit ihrem Bestreben nach Betriebsautonomie „alle Schranken gewerkschaftlicher Verträge und Disziplin zu durchbrechen drohte“, wie sich die Gewerkschaftspresse entrüstete.
Hätte die SPD gewollt, die Räte hätten sich vielleicht zu einem System der Demokratie von unten, der Mitbestimmung in Betrieben, Kasernen, Amtsstuben, Gewerkschaften ausbauen lassen. Ob dieses Neben- und Gegeneinander von Verwaltung und Wirtschaft einerseits, den Räten andererseits funktioniert hätte, ob das Verwischen des Unterschieds von Legislative und Exekutive glücklich gewesen wäre, niemand weiß es. Denn die Probe aufs Exempel ist nie gestellt worden, obwohl die Verfechter der Räte-Idee bis weit ins Frühjahr 1919 hinein um Macht und Einfluß rangen.
Die Chancen, die sich dem Proletariat im November 1918 boten, wurden nicht genutzt. Was dann in den Wochen bis zum bewaffneten Spartakus-Aufstand im Januar 1919 folgte, die Streitigkeiten zwischen Regierung und Vollzugsrat, das Zerwürfnis mit der USPD, die Konterrevolutionen“ von links und rechts, diente letztlich nur dazu, die Position Eberts und der SPD zu stärken, und das hieß: die Sache der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung, im Bündnis mit Freikorps und Oberster Heeresleitung und strammen monarchistischen Offizieren.
Die Zeit, Hamburg, Nr. 44, S. 15, 01.11.1968.