Der Fehler

„Meine Freunde Dittmann und Vogtherr sowie ich übernachteten im Reichstag in der Nacht vom 8. zum 9. November. Ich wollte und mußte unter allen Umständen in Berlin rechtzeitig zur Stelle sein. Am Morgen des 9. November waren wir drei im Reichstag in unserem Fraktionszimmer und erwarteten Nachrichten von unseren anderen Freunden über den Gang der Erhebung. Da erschienen zu meinem großen Erstaunen plötzlich in unserem Fraktionszimmer die Herren Reichskanzler Ebert, Staatssekretär Scheidemann und Herr Braun, ein Mitglied des Parteivorstandes, der ja jetzt gleichfalls irgendeinen Ministerposten hat, Leute, mit denen wir seit Jahren überhaupt nicht mehr privatim geredet hatten. In einer Generalversammlung unserer Partei in Berlin hatte ich nämlich, als sie uns den „Vorwärts“ gestohlen hatten, einen Antrag eingebracht, daß diese Leute sich im Sinne des Parteistatus einer ehrlosen Handlung schuldig gemacht hatten. Der Antrag war einstimmig angenommen worden. Jetzt, als die Leute zu der Überzeugung gekommen waren, daß unsere Erhebung auch ohne ihre Beteiligung jedenfalls Erfolg haben würde, kamen sie zu uns in unser Fraktionszimmer mit dem Angebot, halbpart zu machen. Ich bin nicht leicht zu überraschen. Aber ich muß gestehen, ich habe die Augenbrauen hochgezogen und gesagt: „Ach, na so was!“
An seinen Vorschlag knüpfte Herr Ebert die Bemerkung: „Ja, wir halten unsere Leute noch bis zwölf Uhr zurück.“ …
Dieser Herr Ebert, dieser falsche Biedermann, der sich von seinem Monarchen zum Reichskanzler machen lässt, kommt gleichzeitig zu dem revolutionären Republikaner Ledebour, den er bis aufs Blut haßt – ich habe die Fähigkeit, mich bei Leuten vom Schlage Eberts besonders verhaßt zu machen -, und erbietet sich zu einer gemeinschaftlichen Revolution mit uns gegen seine eigene Regierung, um die Bildung einer gemeinschaftlichen Regierung.
Meine Herren! Als dieses Angebot mir gemacht wurde, habe ich mich jeder Äußerung enthalten. Ich habe gesagt: „Bitte, ich kann nicht entscheiden, ich muß darüber mit meinen Freunden sprechen.“ Leider hat sich einer meiner Freunde, Dittmann, diese Zurückhaltung nicht auferlegt. Er hat sofort seinerseits ein Zusammengehen befürwortet und eine paritätische Besetzung sämtlicher Ämter vorgeschlagen, wie das später auch in die Praxis umgesetzt wurde.“

„Als wir die Revolution vorbereiteten, gingen wir von folgender Voraussetzung aus: Wenn die Revolution gelungen wäre, wollten wir am folgenden Tage Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin und dann in ganz Deutschland wählen lassen; dann sollten diese Arbeiter- und Soldatenräte eine Regierung einsetzen. Das war unser Plan. Und deshalb, weil wir uns genierten, für uns im voraus Machtbefugnisse in Anspruch zu nehmen, haben wir damals Abstand genommen, unter uns auch nur Verabredungen zu treffen, wie die Ämterverteilung nach erfolgreicher Revolution vorgenommen werden sollte. Das war falsch. Ich solchen Situationen muß man sich nicht durch solche Erwägungen persönlicher Bescheidenheit leiten lassen. Wir hätten viel richtiger getan, als wir die Revolution vorbereiteten, von vornherein alles genau zu präzisieren. Dadurch, daß wir diese Unterlassungssünde begingen, haben wir Ebert und Scheidemann, die derartige Skrupel nicht hatten, die Möglichkeit gegeben, sich in die Revolutionserfolge hineinzuschmuggeln. Als sie damals zu mir in das Fraktionszimmer kamen und eine Teilung anboten, wäre es gegenstandslos gewesen, wenn wir als vorbereitender Revolutionsausschuß bereits Dispositionen getroffen hätten.“

„Georg Ledebour Verteidigungsrede im Prozess 1919“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

 

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