Die kaiserlichen Beamten bleiben

„Die wichtigsten Reichsämter behielten ihre alten „kaiserlichen“ Leiter … Jedem Staatssekretär wurden zwei „Beigeordnete“, je ein Sozialdemokrat und je ein Unabhängiger, zugeteilt. Die Führung der Waffenstillstandsverhandlungen wurden bürgerlichen Politikern und kaiserlichen Generalen übertragen.
Von den „kaiserlichen“ Leitern der Reichsämter durfte wohl niemand erwarten, daß sie ihr Amt im Sinne der Revolution führen würden. Selbst wenn sie sich auf den Boden der gegebenen Tatsachen stellten, so waren sie und blieben sie Feinde der Bestrebungen des werktätigen Volkes der Revolution. Ihre Tätigkeit mußte darauf gerichtet sein, die der Bourgeoisie entglittene Macht den Arbeitern wieder zu entreißen und ihren Klassengenossen zurückzugeben. Die Kontrolle der beiden sozialistischen „Beigeordneten“ konnten sie ruhig hinnehmen, denn sie beherrschten die Materie, und der gesamte Verwaltungsapparat, vom Portier bis zum Unterstaatssekretär, standen ihnen bei.“

„Richard Müller Vom Kaiserreich zur Republik/2“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Die alten Beamten waren, als ich wiederkam, außer Wahnschaffe zunächst alle noch da. Vor allem war auf Wunsch des Prinzen Max und Eberts Geheimrat Simons noch dageblieben. Er war in dem Bezirke der Reichskanzlei der Fels in den Fluten des Geschehens. So, wie er den Prinzen Max täglich beraten hatte, war er vom 9. November an der führende Berater der Volksbeauftragten, besonders Eberts, wenn es sich um Fragen der Außenpolitik, der Verwaltung und des Rechts handelte. Die allgemeinen politischen Probleme erwog Ebert natürlich in erster Linie mit anderen Politikern. Aber auch damit waren oft Fragen der rechtlichen Konstruktionen verbunden – Stellungen des Volksbeauftragten, Stellung des Vollzugsrats, ihr Verhältnis zueinander und zu den Landesregierungen, Befehlsbefugnisse gegenüber Beamten und Militär, Fortgeltung der alten Gesetze, Stellung des noch vorhandenen Reichstags und so weiter. Diese Rechts- und Verwaltungsfragen und alle außenpolitischen Dinge besprachen Ebert und oft auch Haase eingehend mit Simons …
Simons führte die Beamtenschaft auch in ihrer zunächst unsicheren dienlichen Haltung gegenüber den Volksbeauftragten … Während andere Beamte sich durch die Abwesenheit eines Titels bei den neuen Herren geniert fühlten, da sie nicht einfach „Herr Haase“ sagen mochten, füllte Simons die Lücke einfach dadurch aus, daß er bei Vorlagen schrieb: „Herrn VB. Ebert“ oder „Herrn VB. Haase“, wobei VB. als Abkürzung für „Volksbeauftragter“ diente, bei offiziellen Gelegenheiten redete er sie auch so an. So ging unter Simons´ Führung der Übergang in der Reichskanzlei glatt vonstatten.“

„Arnold Brecht Aus nächster Nähe“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Eichhorn war nicht da, wir wurden an den Referenten verwiesen, Herrn von Glasenapp.
Wir fanden einen sehr aufgeregten und völlig verwirrten zappelnden kleinen Mann. Ungeheures war geschehn : der Kaiser war gestürzt worden, Deutschland hatte den Krieg verloren, mit Preußen schien es aus zu sein – und, wenn das alles noch anginge, so war das Allerunbegreiflichste, das Allerunannehmbarste; jemand, er wußte nicht wer, war an seinen Aktenschrank gegangen! Wir trugen unsern Wunsch vor. Glasenapp war so willfährig, wie er es wohl noch nie gewesen war, wie ein preußischer Beamter es wohl nur in der äußersten Not und im Zustand völliger Zerrüttung werden konnte. Er wollte alles tun, was wir wollten. Während des kurzen Gesprächs fragte er noch einmal nach meinem Namen, den er nicht verstanden hatte. Ich wiederholte ihn und fügte hinzu: „Sie erinnern sich ganz richtig, Herr Regierungsrat, Sie haben mir kürzlich ein Stück verboten!“ (Es handelte sich um die – bald darauf gespielte – Tragödie „Die Vorhölle“, und Glasenapp, als Theaterreferent, war auch Zensor.) „Ich, ach ich“ klagte Glasenapp, „ich hätte es gewiß nicht verboten, ich hätte auch Hasenclevers ,Sohn’ zugelassen, aber die höheren Sphären, Sie wissen doch: die höheren Sphären!“ Als unser Gespräch beendet war, begleitete uns Glasenapp, sehr viel höflicher als ein preußischer Beamter es noch am Vortage mit Leuten wie Wangenheim und mir gewesen wäre, zur Tür. Ehe sich die Tür wieder schloß, sagte er noch: “Und wenn Sie Ihr Stück wieder einreichen, werde ich selbstverständlich sagen: keine Bedenken, keine Bedenken!“
Er glaubte wie wir, daß er nichts andres mehr würde sagen können, daß er nicht mehr zu sagen haben würde. Übrigens war dieser Zensor von Glasenapp wenige Monate später Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Erzähler.“

Rudolf Leonhard in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

 

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