Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin

„Die Revolutionären Obleute hatten die Losungen der Spartakusgruppe zur Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten übernommen und als Aktionslosung am Nachmittag des 9. November ausgegeben … Leider gab es am Sonnabendabend keine Zusammenfassung der Spartakusanhänger, um auf die Wahl der Arbeiter- und Soldatenräte in den Betrieben und Kasernen maßgebenden politischen Einfluß zu nehmen. Eine richtige Zentrale des Spartakusbundes wurde ja erst am 11. November gebildet. So war es jedem Spartakusanhänger selbst überlassen, ob er gewählt wurde. Ich ging zum Beispiel trotz meiner Polizeifunktion am Sonntag in meinen Betrieb und wurde sofort als Delegierter gewählt.
Außerdem gaben die Revolutionären Obleute die Losung heraus: „Nur Leute im richtigen Arbeitsverhältnis, keine Partei- und Gewerkschaftsangestellten dürfen gewählt werden.“ Damit wollte man angeblich die Scheidemänner ausscheiden. Dabei kam aber heraus, daß die echten Führer des Proletariats, Karl Liebknecht, Wilhelm Pieck, Ernst Meyer, Hermann Duncker usw., nicht gewählt wurden.
Dagegen arbeitete der riesige Organisationsapparat der Mehrheitssozialisten auf Hochtouren. Ihre Funktionäre kamen, nachdem wir den revolutionären Umsturz vollbracht hatten, am Sonnabend und am Sonntagvormittag im „Vorwärts“-Gebäude zusammen. Hier holten sie viele Unteroffiziere und Feldwebel aus den Kasernen zusammen. Im „Vorwärts“-Gebäude wurden Mandatskarten für die Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte am laufenden Band fabriziert und an Leute ausgegeben, die gar nicht als Delegierte gewählt waren.“

„Hans Pfeiffer, Mit Luxemburg und Liebknecht“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Für die Gewehrfabrik führten wir die Wahl in einem Gartenlokal durch. In der Diskussion, die der Wahl vorausging, sagte Genosse Gohlke, der Mitglied der Spartakusgruppe war, folgendes: „Wenn der Genosse Milkuschütz kandidiert, verzichtet der Spartakusbund auf die Aufstellung eines eigenen Kandidaten.“ Ich wurde daraufhin einstimmig zum Mitglied des Arbeiterrates der Gewehrfabrik gewählt. Der gewählte Arbeiterrat setzte sich bis auf eine Ausnahme nur aus Mitgliedern der USPD zusammen.
Unsere erste Maßnahme war die Übernahme der Leitung des Betriebes. Die von der kaiserlichen Regierung eingesetzte Direktion wurde von uns jedoch nicht als abgesetzt erklärt, sondern nur von der Leitung der Produktion ferngehalten. Die Vertreter der kaiserlichen Direktion durften nicht mehr an den Beratungen der neuen Leitung des Betriebes teilnehmen. Die Produktion von Maschinengewehren wurde sofort eingestellt. Einige angestellte wurden beauftragt, von der Reichsbahn Aufträge zur Ingangsetzung der Friedensproduktion einzuholen.
Zum Schutz des Betriebes vor konterrevolutionären Machenschaften bildeten wir eine Arbeiterwehr aus Angehörigen unseres Betriebes, die mit Maschinengewehren ausgerüstet und an den wichtigsten Punkten des Betriebes stationiert wurde. Mit der Übernahme der Leitung des Betriebes durch den Arbeiterrat verband sich bei uns die Vorstellung, daß der Arbeiterrat in Zukunft immer darüber zu wachen hätte, daß der Betrieb niemals wieder für einen räuberischen Krieg Waffen herstellen dürfe. Die sicherste Gewähr dafür war nach meiner Meinung die Sozialisierung der Grundstoffindustrie und der anderen Großbetriebe.“

„Gustav Milkuschütz, Tausend Arbeiterstimmen“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Beerfelde war tags zuvor durch die Soldaten aus dem Gefängnis befreit worden. Wir umarmten uns und gingen in den Saal des Reichstags hinauf, jenen Ecksaal im ersten Geschoß, dessen Fenster auf die Dorotheenstraße blicken. Hier war schon eine große Menschenmenge versammelt. Ich bemerkte Franz Pfemfert, Hanns Paasche, dann Colin Roß, Cohen-Reuß, auch Brutus Molkenbuhr. Namen wurden laut durch den Saal gerufen. Der jeweilig Genannte sprang auf einen Tisch, sagte in einem Satz, klipp und klar, sein Programm her und war somit zum Soldatenrat gewählt. Auf diese Weise wurden Colin Roß, Cohen-Reuß, Paasche, Molkenbuhr und andere gewählt. Kein Mensch bemerkte oder dachte an Beerfelde. Immer mehr Stimmen riefen mit. Jetzt erinnerte man sich plötzlich an den Mann, der aus dem Generalstab heraus den ersten revolutionären Schrei ausgestoßen hatte. Beerfelde sprang auf den Tisch, sein sonderbarer roter Rebellenkopf, seine buschigen roten Augenbrauen schienen Funken zu stieben. Überrascht und ohne eigentliche Vorstellung von dem, was sein Programm sein könnte, was er eigentlich tun wollte, fand er doch die wirkungsvollste Formel für den Augenblick. Kurz und bündig erklärte er: „Alles, was hier geredet worden ist, ist Quatsch. Jetzt heißt es nicht reden, es heißt handeln.“ Er sprang vom Tisch, die Menge umringte ihn, er wurde zum Vorsitzenden des Soldatenrates gewählt. Sein Amt behielt er ja nicht lange. Was er unter Handeln verstand, manifestierte sich bald in seiner ganzen notwenigen und vernünftigen Schärfe, fand aber unter den weniger radikal gestimmten Soldatenräten keinen Anklang.“

„Arthur Holitscher Mein Leben“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Ein Soldatenrat war bereits gewählt worden, es war der Kompaniefeldwebel von der Schreibstube. Ob er jemals gewerkschaftlich organisiert war, nach hatte niemand gefragt. Er weigerte sich beharrlich, an seiner Mütze zwei rote Kokarden zu tragen, denn als Deutscher müsse er wenigstens eine schwarzweißrote tragen. Deshalb habe ich mich auch über die Beschlüsse der Soldatenräte nie gewundert. Sie hatten zumeist vor der Revolution gar keine Ahnung und waren die Werkzeuge in der Hand der rechten sozialdemokratischen Führer, wie sich das auch dann tatsächlich in der bekannten Zirkuns-Busch-Versammlung am nächsten Tag zeigte.“

„Fritz Tilger Auf Vater und Mutter schießen“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Wenn man die Leute näher ansah, die als Delegierte erschienen, konnte man sich schon ein Bild davon machen, wie diese Tagunge ausgehen werde. Viele von denen, die das Tor passierten, waren Offiziere, Feldwebel, Unteroffiziere. Sie kamen nacheinander herangerückt, als ziehen das Wachregiment auf.
Einen der Feldwebel kannte ich. Er war 1915, als ich bei den Luftschiffern diente, mein Ausbilder gewesen. Ich hatte ihn nicht in guter Erinnerung. Er kam auf mich zu, um mit mir ein paar Worte über die bevorstehende Sitzung zu wechseln. „diese Liebknecht und Luxemburg“, so sagte er zu mir – und seine Worte drückten Verachtung und Haß gegen die Genannten aus –, „sie wollen Deutschland an Rußland verraten. Ich habe eben in der Besprechung, von der ich komme, die schändlichsten Dinge darüber erfahren.“ Man merkte, daß er aufgehetzt worden war.
Kurz vor dem Schluß des „Wachregiments“ traf Scheidemann ein. Ich wollte ihn nicht hereinlassen, weil er sich nicht als Delegierter ausweisen konnte. Er erklärte, daß er mir ja bekannt sein müsse, und drückte sich mit Gewalt durch. Die Soldatenvertreter unterstützten ihn.“

„Günter Schmidt Für die Rätemacht“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Am späten Abend des 10. November trafen sich in den Redaktionsräumen des „Berliner Lokal-Anzeigers“ eine Anzahl Spartakusgenossen, die während des Weltkrieges einen entschlossenen Kampf gegen den Krieg und gegen die Kriegspolitik der SPD geführt hatten und die deswegen in die Kerker geworfen, ins Heer gesteckt oder aus dem Lande vertrieben worden waren. Karl Liebknecht war von der Regierung am 23. Oktober aus dem Zuchthaus entlassen und Leo Jogiches am 9. November von Genossen aus dem Gefängnis Moabit herausgeholt worden. Ich war am 26. Oktober aus Holland, aus der Emigration, zurückgekehrt, und am 10. November, abends gegen zehn Uhr, traf die Genossin Rosa Luxemburg aus Breslau ein, wo sie durch die Revolution aus ihrer langjährigen Kerkerhaft befreit worden war …
Wenn auch alle Genossen froh waren, die Führer der Spartakusgruppe wieder in ihrer Mitte zu haben und die gemeinsame Tätigkeit wieder aufnehmen zu können, so konnte doch eine rechte Freude nicht aufkommen. Die Worte, die Karl Liebknecht vor wenigen Stunden in der Zirkus-Busch-Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte gesprochen hatte: „Die Konterrevolution ist mitten unter euch!“ waren nur allzu wahr. Zwar war die Monarchie gestürzt und der Krieg beendet, aber es fehlte die Kraft, um aus der halben eine ganze Revolution zu machen, den Klassenverrat der sozialdemokratischen Führer zu durchkreuzen und die wirkliche Macht der Arbeiter- und Soldatenräte aufzurichten. Die Spartakusgruppe hatte wohl einen großen Anteil an diesem Zusammenbruch der Militärmonarchie und an der Beendigung des Krieges, aber es fehlte ihr die Massenorganisation, mit der sie nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Reich ihre Aufgabe hätte erfüllen können.“

„Wilhelm Pieck Erinnerungen“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Am besten habe ich das am eigenen Leibe erfahren, als ich zum Mitglied des Vollzugsrats kooptiert wurde. Ich muß offen bekennen, daß mir damals durchaus die notwendige politische Einsicht und Erkenntnis fehlte, um den Aufgaben gerecht zu werden, die die Revolution an dieses Organ der Arbeiterschaft stellen mußte. Das galt auch von vielen Mitgliedern des Vollzugsrats. So kam es, daß in seinen Sitzungen in der Hauptsache diskutiert und stundenlang geredet wurde, daß er aber in keiner Weise mit großen leitenden politischen Ideen hervortrat, sondern eigentlich nur einen ständigen Kampf um seine eigene Existenz führte.
So wurde der Vollzugsrat nicht, wie das Programm der Spartakusbundes vorsah, der „Träger der Regierungsgewalt“, sondern sank zu einer Kontrollinstanz herab, die immer wieder versuchte, aus diesem engen Rahmen auszubrechen.
Im Kabinett der Volksbeauftragten nahm man aber nicht nur die Kontrolle übel, sondern noch viel mehr die geringste Initiative des Vollzugsrats, obwohl man ihm gerade ständig vorwarf, daß von ihm keine neunen tragenden Ideen für die Weiterentwicklung kämen. Man darf dabei nicht verkennen, daß so manche – nicht alle – sozialdemokratischen Mitglieder des Vollzugsrats alle taten, seine Tätigkeit soweit wie nur möglich einzuschränken …
Diese Umstände machten den Kampf um die Macht zwischen dem Vollzugsrat und dem Kabinett der Volksbeauftragten noch ungleicher, als er schon von Anfang an war. Es verging eigentlich kein Tag, an dem nicht Beschwerden seitens des Vollzugsrats in der Reichskanzlei eingingen, die manchmal schon der Unterstaatssekretär Baake im Aktenbock mit der Bemerkung liegenließ: „Wird durch Lagern besser!“ Diese Einstellung übertrug sich natürlich schnell auf die aus der Kaiserzeit stammenden Referenten, Ministerialdirektor Simons und Oberregierungsrat Dr. Brecht. Sie sahen nur allzu gern die Nichtachtung, die der Vollzugsrat in der Reichskanzlei erfuhr, und sabotierten mit Freude und Genugtuung durch hinhaltende Behandlung alles, was von dieser „bolschewistischen Institution“ kam. Es gab doch in der Verwaltungspraxis den beruhigenden Vermerk: „In vier Wochen wieder vorlegen.“ Kam aber eine der vielen und meist recht aggressiv abgefassten Beschwerden des Vollzugsrats zu Ebert, so schob er sie wütend und verärgert beiseite. Sie blieben in den meisten Fällen völlig unbeachtet …
Der getreuste Mann, den Ebert im Vollzugsrat besaß, war Hermann Müller. Mit diesem besprach er in geheimen Unterredungen, was im Vollzugsrat vorging, und beriet, wie man mit Hilfe der sozialdemokratischen Mitglieder des Kabinetts die Absichten von Ledebour, Däumig und Richard Müller hintertreiben könne. Wenn auf dem Rätekongreß später im Referat von Richard Müller immer wieder über die Schwierigkeiten geklagt wurde, die dem Vollzugsrat von Kabinett der Volksbeauftragten bereitet wurden, so ist leider niemals klargestellt worden, daß der eigentliche Urheber all dieser gegen Vollzugsrat gerichteten kleinen und großen Gemeinheiten in Hermann Müller zu finden war, der Ebert beinahe täglich aufsuchte und ihn über die Vorgänge im Vollzugsrat informierte und zugleich mit ihm beriet, wie man durch Lancierung von Gerüchten über die „Verschwendungssucht“ des Vollzugsrats, über die „Unordnung“ über den „Mangel an Zielstrebigkeit“, über die gegenseitigen Beschuldigen und Beschimpfungen seiner Glieder, über die Fehler in der Auswahl der geeigneten Persönlichkeiten, über den Mangel an Organisationsfähigkeit die revolutionäre Institution der Berliner Arbeiterschaft in den Augen der Arbeiter diskreditieren konnte.“

„Walter Oehme Damals in der Reichskanzlei“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

„Der Vollzugsrat der vereinigten Räte Rußland ist – mag man gegen ihn schreien, was man will – freilich ein ander Ding als der Berliner Vollzugsrat. Jener ist Haupt und Hirn einer gewaltigen revolutionär-proletarischen Organisation, dieser das fünfte Rad am Wagen einer kryptokapitalistischen Regierungsclique, jener ist die unerschöpfliche Quelle proletarischer Allmacht, dieser gleicht der ausgetrunkenen Feldflasche, die an einem heißen Sommertage zur Seite hängt, jener ist der lebendige Leib der Revolution und dieser ihr Sarkophag.“

Einschätzung Rosa Luxemburg, überliefert durch Richard Müller in „Vom Kaiserreich zur Republik“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963

 

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