Die Revolutionären Obleute bereiten den bewaffneten Aufstand vor
Im September 1918 wurden die Vertrauensmänner durch ihren Obmann Walter Skorzewski zum Besuch einer vertraulichen Aussprache eingeladen. Hierbei erläuterte der Revolutionäre Obmann die politische und militärische Lage Deutschlands und sprach über die Notwendigkeit einer rechzeitigen Waffenbeschaffung und Unterbringung derselben, um für die kommenden Ereignisse gerüstet zu sein …
Ihm wurden bald mehrere Lagerungsräume für Waffen, auf gepachteten Parzellen der Laubenkolonie Alpenglühen, am Dammweg in Neukölln, samt dazugehöriger Türschlüssel und Skizze über die Örtlichkeit zur Verfügung gestellt. Auf diesem Laubengelände hatten sich mehrer Werktätige des Daimlerwerkes einen Schrebergarten gepachtet, um während des Krieges Gemüse für ihren Küchenbedarf anzubauen. Sie besaßen alle ein hölzernes Sommerhäuschen samt Gerätschuppen und stellten nun diese im Herbst und Winter unbenutzten Räume dem Obmann des Daimlerwerkes, der seine Wohnung einige Kilometer ostwärts in der Gemeinde Baumschulenweg hatte, zur Verfügung. Um keinen Verdacht bei den Laubennachbarn zu erwecken, die eventuell die Herbeischaffung der Waffen beobachteten, übernahm der Dreher Stefan Kutonicz, dessen Parzelle an der Ecke des Dammweges lag, den Empfang und die vorläufige Unterbringung der für mehrere Sommerhäuschen der Kolonie bestimmten Holzkisten mit Waffen und Munition, um diese Kisten dann später an die anderen Besitzer von Sommerhäuschen in derselben Kolonie auszuhändigen. Um den Transport der Waffen von ihrem Lagerplatz im Osten Berlins bis zur Parzelle des Drehers Kutonicz am Dammweg möglichst unauffällig durchzuführen, wurden die Kisten auf einem Einspänner-Ackerwagen geladen, den ein befreundeter Fuhrwerksbesitzer für den Transport hergab. Dann fuhr der Kutscher den Wagen zum Hofe eines Kuhstallbesitzers, der oft Dünger für die Schrebergärten verkaufte und erhielt hier eine Ladung Langstrohdünger, der die Kisten vollkommen bedeckte, und nun ging es in der Mittagszeit eines trüben Septembertages zur Parzelle am Dammweg, wo bereits einige Arbeiter des Daimlerwerkes, die in der Abendschicht tätig waren, auf die Ankunft des Fuhrwerkes warteten und den Dünger über den Zaun der Parzelle warfen. Um diese Tageszeit war die Gegend fast menschenleer, so daß niemand bemerkte, daß zum Schluß noch einige schäbig aussehende Holzkisten in den Geräteschuppen des Holzhäuschens befördert wurden. Das gut durchdachte Unternehmen der Waffenunterbringung, die nun den Revolutionären Obleuten zur Verfügung standen, war wunschgemäß durchgeführt.
Karl Keuschner „Erinnerungen“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963
„Im Sommer 1918 bekamen wir Verbindung zu Genossen in Suhl und durch diese Möglichkeit, illegal für Berlin Waffen zu beschaffen. Ich hatte eine kleine Wohnung in Charlottenburg, in der ich allein lebte, und erklärte mich sofort bereit, an dieser wichtigen und gefährlichen Aufgabe mitzuwirken. Waffen wurden in meine Wohnung geliefert. Zwei zuverlässige junge Genossen, Arthur Schöttler und Fritz Schwerdfeger, packten sie dort um in kleine Kästen mit Schiebedeckeln und beförderten sie mit einem Fuhrwerk zu besonders vertrauenswürdigen Genossen in die einzelnen Stadtbezirke…
Nach jeder glücklich beendeten Fuhre freuten wir uns, der so heiß ersehnten Revolution wieder ein Stück näher gekommen zu sein. Wir waren alle jung und voller Begeisterung. Keinem von uns wäre es eingefallen, für diese gefahrvolle Arbeit einen Pfennig Lohn zu verlangen.
Allmählich waren meinen Nachbarn aber doch die Transporte der vielen schweren Kisten aufgefallen, und zum 1. November 1918 erhielt ich eine Vorladung zur Vernehmung durch die Abteilung IA (damalige Politische Polizei). Ich war heftig erschrocken – 400 Pistolen und etwa 20 000 Schuß Munition lagerten in meiner Wohnung. Zum Glück hatte ich genügend Kisten vorrätig, nahm alle Pistolen aus ihren kleinen Schachteln, packte sie dich bei dicht in die Kisten und verbrannte dann die vielen Schachteln im Ofen. Dann wartete ich voller Angst auf Arthur und Fritz. Endlich kamen unsere Waffentransporteure. Ich zeigte ihnen die Vorladung, huckte ihnen die schweren Kisten auf, steckte jedem eine Stulle in die Manteltasche und jagte sie so schnell wie möglich aus der Wohnung…
Danach ging ich zum Leiter unserer illegalen Organisation, meldete ihm alles und erhielt für die Vernehmung strenge Verhaltungsmaßregeln. Es war meine erste polizeiliche Vernehmung, und mir klopfte das Herz zum Zerspringen. Ein Kriminalbeamter las mir aus einem anonymen Brief Stellen vor, wonach auch meine Wohnung „Kisten mit Dynamit“ herausgetragen würden. Ich erklärte ihm, daß ich aus Angst vor solchem Zeug noch nie in einer Munitionsfabrik gearbeitet hätte, und fragte, wie ich, ein junges Mädchen, an so gefährliche Sachen überhaupt herankommen sollte! In den Kisten wären Äpfel gewesen, die ich geschickt bekommen und von denen ich einige Kisten mit einem kleinen Verdienst weiterverkauft hätte. Dem Beamten kam es auch nicht in den Sinn, daß ich, die ich durch die Kriegsernährung besonders schmal und elend aussah, mich mit so aufregenden und gefährlichen Dingen abgeben könnte.
Cläre Casper-Derfert Steh auf“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963
Unsere Waffenbeschaffungsorganisation hieß „Die schwarzen Katzen“. Mein Spitzname war „Hänschen“. Aus den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken in Wittenau gelang es durch geschickte Arbeit, viele Hunderte Parabellum-Pistolen zu besorgen. Die Gewehrfabrik in Spandau lieferten unsere Gewehre. Aus dem Waffenwerk Oberspree kamen Karabiner. Durch Genossen Arthur Schöttler erhielten wir aus Thüringen Pistolen. Ein Teil der Waffen wurde dort, wo wir zuverlässige Genossen als Lageristen hatten, in den Werkzeuglagern der Betriebe untergebracht. Eine große Anzahl Gewehre und auch Revolver wurden von Genossen Hermann Walther im Keller des Konsums vorübergehend eingemauert. Unser erfahrender Genosse Otto Franke brachte Waffen mit Hilfe seiner Handtuchfahrer in die Betriebe. Die Handtuchfahrer waren damals gewissermaßen unsere revolutionäre Transport- und Nachrichtenkompanie. Wenn sie die Kittel und Handtücher, die sich die Arbeiter reinigen ließen, wöchentlich in die Betriebe zurückbrachten, nahmen sie auch Waffen, Flugblätter und andere Sendungen unserer Organisation in Vertrieb. Kein einziger unserer Waffentransporte ist hochgegangen.
Hans Pfeiffer „Mit Luxemburg und Liebknecht“ in „Berliner Leben 1914 bis 1918“, Dieter und Ruth Glazer, Berlin 1963