Friedensbedingungen für Deutschland: Vollzugsrat bittet Völker um Unterstützung

„An die Völker Frankreichs, Italiens, Englands, Amerikas
 Vier Jahre lang hat der Weltkrieg die Völker in zwei feindliche Lager geschieden. Millionen von Menschenleben sind vernichtet worden. Kulturgüter ohne Zahl sind der Zerstörung anheimgefallen. In allen Völkern lebt die brennende Sehnsucht nach Frieden. In Deutschland waren es die Militärkaste und die herrschenden Gewalten, die in den Krieg hineingetrieben haben und die in unersättlicher Eroberungsgier von Frieden nichts wissen wollten. Mit eisernem Zwang hielt die Militärdiktatur das deutsche Volk im Innern im Bann. Unter unsäglichen Opfern und Verfolgungen hatten die zu leiden, die den Kampf für Frieden und Freiheit auf ihre Fahne geschrieben hatte.
 Der Übermut und die Herrschsucht der Herrschenden drohte das deutsche Volk der vollständigen Vernichtung zu überliefern. In letzter Stunde raffte es sich auf und ward das unerträgliche Joch von sich. Die Arbeiter und Soldaten war es, die in wenigen Tagen der fluchbeladenen Hohenzollernherrschaft und dem ganzen dynastischen System Deutschlands ein Ende machten. Die Arbeiter und Soldaten waren es, die die Militärdiktatur zerschmetterten und die Regierung beseitigten, die die Verantwortung für die Kriegspolitik Deutschlands trug. Arbeiter und Soldaten sind es, die die Freiheit Deutschlands erkämpft haben.
 Arbeiter und Soldaten sind es, die dringend den Frieden haben wollen. Die anderen Völker haben von dem freiheitlichen Deutschland nichts mehr befürchten. Wie die Gewaltpolitik im Innern, so soll auch die Gewaltpolitik nach Außen in Deutschland für immer dahin sein. Niemals wieder soll der deutsche Militarismus sein Haupt erheben. Ein Friedliches Zusammenleben der Völker, ein allen ersprießlicher Wirtschaftsverkehr, ein auf dauerndem Frieden und wirklicher Freiheit aufgebauter Völkerbund ist das Ziel der deutschen Arbeiter und Soldaten.
 Die Wiederherstellung des aus tausend Wunden blutenden Deutschlands, die Neuordnung seines Wirtschafts- und Staatslebens, die Erlösung des Volkes von Hunger, Entbehrungen und anderen Nöten kann aber nicht geschehen, wenn ihm von den Regierungen der Entente unerträglich harte Waffenstillstands- und Friedensbedingungen auferlegt werden. Wir appellieren daher an das Gerechtigkeits- und Solidaritätsgefühl der uns bisher feindlichen Völker und reichen ihnen über die Schützengräben hinweg die Bruderhand. Wir bitten sie, bei ihren Regierungen selbst zu wirken, daß das deutsche Volk nicht völlig zum Hungertode und politischer Ohnmacht verurteilt werde.
 Wir bitten die Völker, mit ihrer ganzen Kraft dafür einzutreten, daß der Friede, der da kommt, ein Friede brüderlicher Verständigung ohne jede Eroberungen und Unterdrückungen werde, ein Friede, der jedem Volke das Recht der Selbstbestimmung und der freiheitlichen Entwicklung läßt.
 Ihr Arbeiter Frankreichs, Englands, Italiens usw. habt oft versprochen, daß ein solcher Friede Euer Ziel sei. Laßt jetzt Euer Versprechen zur Tat werden. Tretet dafür ein, daß die Waffenstillstandsbedingungen, die Deutschland dem wirtschaftlichen Ruin und dem völligen Hungertode preisgeben, gemildert werden. Tretet dafür ein, daß ein Friede zustande kommt, der den Aufbau einer neuen glücklicheren und friedlicheren Welt ermöglicht. Ein Friede, der künftiges Völkermorden unmöglich macht.
 Als Vertreter des Vollzugsrats der Arbeiter- und Soldatenräte erheben wir unsere Stimme und bitten Euch, dafür einzutreten, daß das deutsche Volk durch Eure Regierungen nicht zu einem Sklavendasein verurteilt wird. Wir haben uns unsere Freiheit im Inneren erkämpft und wollen in Zukunft im Rate der Völker als gleichberechtigte Mitarbeiter sitzen.
 Es lebe der Frieden! Es lebe die Freiheit!
 Es lebe der internationale revolutionäre Sozialismus!

Berlin, den 14. November 1918       Der Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte:
                                                         Brutus Molkenbuhr       Richard Müller“

Eine Geschichte der Novemberrevolution, Richard Müller, 2015

 

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