Frieden: Die revolutionären Obleute versus Volksregierung

„Aufruf des Vollzugsausschusses des Arbeiter- und Soldatenrates vom Anfang November 1918*

Arbeiter, Soldaten, Genossen!

Laßt Euch nicht einschläfern!

Über einen Monat hält man Euch mit der Ankündigung hin, daß Waffenstillstand, daß Frieden werden solle. Dabei fallen noch Tag für Tag Blutopfer ohne Zahl.
Die „Volksregierung“ hat weder den Willen noch die Kraft, dem Gemetzel ein Ende zu machen. Noch viel weniger kann sie einen Frieden schließen, der Eure Nöte beendet.
Die Regierungssozialisten belügen Euch über den Ernst der Situation. Sie machen alles abhängig von der Abdankung Wilhelms II.
Dieser mit schwerer Blutschuld belastete Hohenzoller denkt gar nicht daran, von der Bühne abzutreten. Er hat die „Volksregierung“ in Berlin sitzen lassen und hat sich in das Große Hauptquartier geflüchtet. Dort stützt er sich auf die Generalität, die noch im Zusammenbruch ihr Säbelregiment aufrechterhalten will.
Die feile Presse des Reiches bearbeitet das Volk, um es für die „nationale Verteidigung“ geneigt zu machen. Aber man hat nicht den Mut, das letzte blutige Bankerottspiel mit offener Karte zu spielen. Auf der einen Seite schwafelt man von Friedensabsichten, auf der anderen Seite schleppt man in aller Stille das Kanonenfutter für die letzte wahnwitzige Metzelei zusammen. Masseneinberufungen in Berlin und im Reiche sollen diesem Zwecke dienen.
Noch mehr! Unsere Gewalthaber wollten in den letzten Tagen trotz aller Friedensbeteuerungen die Schlachtflotte gegen England ansetzen. „Siegen oder in Ehren untergehen!“ war die Parole der Admiräle. Aber die Energie der Matrosen und Heizer hat den Plan zunichte gemacht. Die Heizer rissen die Feuer unter den Kesseln hervor. Die Mannschaften zwangen die Führer zur Umkehr. In Kiel und Wilhelmshaven herrscht unter der Marine große Erregung. Massenverhaftungen von Matrosen finden statt. Gegen sie lehnen sich einzelne Besatzungen auf und haben manche Freilassungen inhaftierter Kameraden durchgesetzt.
Soldaten! Wollt Ihr Euch von Euren Marinekameraden beschämen lassen? Wollt Ihr Euch nicht auch gegen die blutigen Kriegspläne Eurer Zwingherren auflehnen?
Arbeiter! Wollt Ihr durch Befolgen des Gestellungsbefehls der bankerotten Militärkaste Gelegenheit geben. Schlachten ohne Ende zu schlagen? Das kann, das darf nicht geschehen!

Arbeiter! Soldaten! Glaubt den Regierungssozialisten nicht. Sie behaupten, ihr Scheidemann werde durchsetzen, daß der Kaiser abdanke, und dann sei alles gut. Ohne einen energischen Druck der arbeitenden Massen und deren Brüder im Waffenrock ist dieses Zeil nicht zu erreichen. Aber selbst wenn Wilhelm II. vom Thron verschwände, so bliebe noch die ganze schwerbelastete Hohenzollerndynastie. Es blieben die Wittelsbacher, die Wettiner, die Zähringer usw., die alle ein gleiches Maß Schuld an der Länge des Krieges tragen. Heute muß ganze Arbeit gemacht werden. Das monarchistische System muß verschwinden. Das deutsche Volk muß endlich alle seine Ketten brechen.

Den Frieden, den Ihr braucht, bringt Euch nicht die „Volksregierung“. Der Friede, den Euch ein Max von Baden, ein Scheidemann usw. bringen wird, ist darauf angelegt, die Macht des Kapitals aufrechtzuerhalten und die Profite der besitzenden Klassen zu garantieren. Euch würde für die kommenden Friedensjahre eine drückende Sklaverei bleiben. Die neuen Regierungsmänner bemühen sich, die Sicherheit der Kriegsanleihen zu verbürgen. Ihr sollt es sein, die in kommenden Jahren im Schweiße eures Angesichts die Zinsen aufbringen und die wahnsinnig hohen Kriegsschulden decken sollen. Ihr werdet es sein, die auch in einem Scheidemann-Frieden unter Entbehrungen und Teuerungen zu leiden hätten.

Arbeiter! Soldaten! Laßt Euch nicht wie Schafe in eine Friedenssklaverei hineintreiben. Rafft Euch auf und nehmt endlich die Friedensarbeit selbst in die Hand. Auch die französischen, englischen, italienischen Arbeiter und Soldaten werden dann Eurem Beispiel folgen. Dann wird ein Frieden zustande kommen, der den arbeitenden Massen der ganzen Welt zum Heil gereichen wird. Er wird auch den schwerbedrängten russischen Freiheitskämpfern Hilfe bringen.

Arbeiter! Laßt Euch nicht von dem Ordnungsgewinsel der Regierungssozialisten einlullen. Macht Euch bereit, in Kürze selbst zu handeln. Werdet Euch Eurer Macht bewusst! Steht geschlossen Schulter an Schulter! Laßt Euch beseelen von dem Willen zur Freiheit! Setzt Eure Arbeiterbataillone in Marsch, wenn der Ruf an Euch geht!

Soldaten! Laßt Euch nicht verwenden zu Schergen gegen Eure Volksgenossen. Die Militärdespotie hat ihre Pläne und Rüstungen fertig zu einem Gemetzel unter dem Volke, das 52 Monate lang Kriegsleiden ohne Zahl getragen hat. Schlimmer als ein Brudermörder wäre der unter Euch, der sich dazu hergibt, auf seine Brüder und Schwestern einen Schuß abzufeuern oder eine Handgranate zu schleudern. Gesellt Euch vielmehr zu denen, aus deren Mitte Ihr hervorgegangen seid und in deren Reihen Ihr wieder zurückkehren werdet.
Gleiches Leid, gleiches Los, gleiches Schicksal verbindet das arbeitende Volk mit seinen Söhnen im feldgrauen Rocke. Ein gleicher Wille soll beide beseelen, gleiches Handeln sie einen.
Arbeiter! Soldaten! Eure Stunde naht! Bald sollt Ihr beweisen, ob das deutsche Volk für alle Zeit ein Lakaienvolk bleiben will oder ob es bereit ist, sein Alles einzusetzen für Frieden und Freiheit. Beides erlangt Ihr aber nur in einer sozialistischen Republik.
Für heute sei Eure Losung: Bereit sein ist alles!

Der Vollzugsausschuß des Arbeiter- und Soldatenrats“


Wahrscheinlich handelt es sich um den Vollzugsausschuß des Arbeiter- und Soldatenrates in Berlin

Quelle:  Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 275-277

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